Montag, 20. August 2012

leseprobe aus dem kapitel "nicht mit mir"

im (zweiten)  kapitel "nicht mit mir" bin ich wild entschlossen, mir selbst zu helfen
(auszug)

 
"Ich will meiner Angst die Stirne bieten, ihr eine Grenze zeigen. Die Angst kann mit mir überall hingehen und mich behindern, wie sie will, aber ich entscheide wo wir hingehen und was wir tun, nicht die Angst. In einem spontanen Anfall von Mut beschließe ich genau das zu tun was mich im Moment am meisten ängstigt: Auto fahren.
Ich setze mich in den Wagen, fahre langsam und bedacht. Mir ist übel und schwindlig aber ich fahre sogar auf die Autobahn. Ganze 40 Kilometer schwitze ich bis in die Stadt, dort stelle ich das Auto absichtlich in die zweite Ebene  einer Tiefgarage. Ich habe im Internet viel über Platzangst gelesen, die häufig als Folge von Panikattacken entsteht. Nicht mit mir, denke ich herausfordernd, und wenn ich da drinnen sterbe. Jetzt geschieht was ich für richtig halte, und nicht, was mein Herzrasen vielleicht möchte. Ich gebe keinen Zentimeter nach.
In der Innenstadt zwänge ich mich in mehreren Geschäften hintereinander in die Umkleidekabine und probiere atemlos Pullover, Kleider, Mäntel. Es ist egal, ob die Sachen passen oder nicht, ich will nichts kaufen. Ich will mir beweisen, dass ich  - ja was eigentlich? Bei Peek & Cloppenburg kämpfe ich mich aus einem engen schwarzen Pullover und sinke erschöpft auf das Bänkchen der Umkleide. Ich könnte plötzlich heulen.
Es war eine dumme Idee, hier herzukommen. Es funktioniert nicht. Was habe ich mir nur eingebildet -  stärker zu sein als die Angst? Das heftige Gefühl lässt sofort Wellen von Schwindel und Atemnot aufsteigen. Woher kommt das verdammt noch mal? Ich kämpfe gegen die Empfindungen an so gut ich kann. Nur jetzt nicht überwältigt werden! Nicht umfallen, nicht japsend am Teppichboden liegen müssen unter den Augen der stylischen Verkäuferinnen!  Ich würde mich auf ewig schämen.
Auf einmal schieben sich andere Ideen zwischen den Schreckensbildern hervor: Ich bin ein dicker Sumoringer und kämpfe mit erhobenen Fäusten und wild stampfend gegen unsichtbare Geister – nein, ich bin Jakob aus der Bibel, der in finsterer Nacht mit Gott kämpft und mit ihm ringt auf Leben oder Tod und ihn schließlich festhält und ihm sagt: “Ich lasse dich nicht, bevor du mich nicht segnest.“ 
Ich bin nicht religiös, aber dieser Gedanke gefällt mir. Angenommen ich ringe mit meiner Angst wie Jakob einst mit Gott? Meine Panikattacken wären eine Prüfung, die ich bestehen kann? Sie würden einen tieferen Sinn in sich bergen, Anzeichen einer notwendigen, guten Entwicklung sein?
Ich erinnere mich an einen Satz aus einer Internetseite, den ich heute gelesen habe: dass es darum gehe, der Verführung der Angst entschlossen zu widerstehen aber dennoch ihre Botschaft zu hören.
Über diese Gedanken wird mein Atem langsam wieder freier, ich kann aufstehen und die Umkleidekabine verlassen. Ich schaue geradeaus nach vorn und sehe mich nicht um, ob mich jemand beobachtet.
Zu Hause wartet schon mein Mann. Er hat sich Sorgen gemacht und weiß nicht so recht, was er von meinem Ausflug halten soll. „Vielleicht solltest du doch bald zum Doktor gehen.“ sagt er."

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